Positionierung: Studienbetrieb während der Corona-Pandemie

Beschlossen von der Landes-ASten-Konferenz am 19.12.2021

Einleitung

Fast zwei Jahre Studium in einer Pandemiesituation sind für Studierende nicht einfach gewesen. In dieser Zeit mussten wir weitgehend auf Präsenzlehre verzichten. Sowohl die Studienbedingungen als auch die sozialen Aspekte haben nachhaltig ihre Spuren hinterlassen. Die Rahmenbedingungen für ein erfolgreiches Studium sind für Teile der Studierenden nicht mehr gegeben.

Zu Recht sind die Vertreter*innen vieler Studierendenschaften enttäuscht über die Situation und den Umgang mit den Studierenden während der Pandemie. Wir sind die Gruppe, die mit am intensivsten von den Einschränkungen betroffen waren und gehören auch zur Gruppe, die als Letzte die kurzzeitigen Lockerungen und Impfangebote in Anspruch nehmen konnte.

Diese Positionierung knüpft an das Eckpunktepapier „Öffnungsperspektiven für Hochschulen in Baden-Württemberg“ der Landesstudierendenvertretung vom 06.06.2021 an. Vielen der dort formulierten Forderungen wurde nicht entsprochen. Die bittere Konsequenz daraus können wir jetzt schon betrachten. Aufgrund der sich erneut verschlechternden pandemischen Situation positionieren wir uns hiermit aktualisiert zum Studienbetrieb während der Corona-Pandemie.

Präsenzlehre

Wir begrüßen grundsätzlich, dass es im Wintersemester 2021/2022 wieder mehr Präsenzlehre gibt. Studierende dürfen in der Pandemie nicht noch einmal vergessen werden! Eine vollständige Schließung der Hochschulen, wie wir sie im Sommer 2020 erleben mussten, darf es nur als allerletzte Lösung erneut geben.

Wir erachten es als nicht hinnehmbar, dass Diskotheken geöffnet und religiöse Veranstaltungen möglich sind, aber die Hochschulen als Bildungseinrichtungen schließen müssen. Jedoch sehen wir bei besonders schwerwiegendem Infektionsgeschehen, wie zum Ende 2021, den Bedarf nach mehr Online-Angeboten. Denn insbesondere für Kranke, Risikogruppen und Pendler*innen muss der Zugang zur Hochschullehre angemessen aufrechterhalten werden. Deshalb fordern wir die Abschaffung der Pflicht zur Präsenzlehre bei schwerwiegendem Infektionsgeschehen und die Stärkung der hybriden Lehre. Die Angebote müssen dabei so nahe an die Qualität der Präsenzlehre kommen wie möglich. Insbesondere wenn die Online-Lehre über schriftliche Unterlagen abgedeckt werden soll, ist auf eine Vergleichbarkeit des Workloads zu achten. Besonders dort, wo nur Lehrbücher zur Verfügung gestellt werden, ist dies nicht gegeben. Weiterhin muss auch hier der Austausch mit den Lehrenden und Raum für Fragen sichergestellt sein.

Während im Sommer 2021 darauf hingewiesen wurde, dass die vierte Pandemiewelle vorhersehbar ist, war auch bekannt, dass ein erneuter Umstieg auf Online- bzw. Hybridlehre abzusehen ist. Deswegen ist der Aufwand dafür für die Hochschulen zumutbar. Auch der Zugang zu den Lern- und Arbeitsplätzen an Hochschulen muss so gut wie möglich aufrechterhalten werden. Wir lehnen zudem die ausschließlich auf Reservierungen basierende Vergabe von Lernplätzen ab.

Sichere Lehre an den Hochschulen

Vor allem der Schutz der Gesundheit steht für uns im Vordergrund. Zwar gehören Studierende größtenteils zur jüngeren Bevölkerungsgruppe, trotzdem kann man schwere Verläufe trotz Impfungen nicht ausschließen. Wir müssen vor allem auch vulnerable Gruppen schützen und bekennen uns daher zu hohen Impfquoten. Infolgedessen fordern wir:

Campusnahe Impfangebote

In Anbetracht der hohen Impfquoten werden voraussichtlich der überwiegende Teil der Studierenden bestrebt sein Booster-Impfungen zu erhalten. Die begrenzten Impfdosen und die Verteilung der Impfstationen in den Regionen machen dies für Studierende jedoch nicht einfach. Das zeitweise Schließen der Impfzentren erwies sich als großer Fehler der Landesregierung. Aufgrund des hohen Bedarfs fordern wir das Aufrechterhalten und den zahlenmäßigen Ausbau dezentraler Impfangebote abseits der ärztlichen Praxen bis zum Ende der pandemischen Situation. Vor allem für Studierende, die an ihrem Studienstandort nicht über eine hausärztliche Versorgung verfügen oder aufgrund des hohen Andrangs in Praxen nicht aufgenommen werden, ist dies eine große Entlastung.

Bekenntnis zu angemessenen 2G/3G-Regelungen

Covid-19 wird voraussichtlich langfristig endemisch sein. Ein Großteil der Bevölkerung wird sich in den kommenden Monaten immunisieren. Dabei stellt sich jeweils nur die Frage, ob dies gewollt über eine Impfung oder (tendenziell) ungewollt über eine Infektion geschieht. Diese grundsätzliche Immunisierung der Bevölkerung schützt Personen, die der Risikogruppe angehören oder sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen können, wobei eine Impfung ein deutlich niedrigeres Risiko mit sich bringt, auf dem Weg dorthin anderen Personen zu schaden. Deshalb sprechen wir uns nochmals ausdrücklich für die erste Möglichkeit aus. Tests geben zwar eine gewisse Sicherheit, doch sind diese nicht zuverlässig und geben nur einen ersten Anhaltspunkt, ob man positiv ist, oder nicht. Wir möchten das Risiko einer Infektion für unsere Studierende so gut wie möglich reduzieren und minimieren. Deshalb sehen wir die konsequente Anwendung von 2G-Regelungen auch bei Lehrveranstaltungen, die in einer höherer Stufe als der Warnstufe (gemäß Corona-Verordnung) zwingend in Präsenz stattfinden müssen, als gangbaren Weg und unterstützen bei Veranstaltungen, die nicht zwingend in Präsenz stattfinden müssen, ausdrücklich die Teilnahmebeschränkung auf Immunisierte. Uns ist dabei bewusst, dass dadurch ggf. freiwillig ungeimpfte Studierende von Teilen des Lehrbetriebs ausgeschlossen werden. Allerdings sind wir der festen Überzeugung, dass es wichtiger ist, Studierende zu schützen, die sich nicht impfen lassen können oder trotz Impfung gefährdet sind, sich mit Corona zu infizieren und ggf. gar einen schweren Verlauf zu erleiden – im Gegensatz zu solchen, die sich aus freien Stücken dazu entscheiden, sich nicht impfen zu lassen und dadurch die Gesellschaft einem erhöhten Risiko aussetzen. Studierende dürfen keine Fehlzeiten erhalten, wenn sie im Zusammenhang mit Corona auch ohne ein Attest nicht an Hochschulveranstaltungen teilnehmen. Stattdessen sollen alternative Formen der Leistungserbringung angeboten werden.

Prüfungen

Wir sprechen uns ausdrücklich dafür aus, die Gesundheit von Studierenden bestmöglich zu schützen und diese als höchstes Gut zu erachten. Dennoch möchten wir zeitgleich unbedingt jegliche Studienzeitverlängerungen, falls nicht aufgrund der aktuellen Situation ausdrücklich anders von den einzelnen Studierenden gewünscht, vermeiden bzw. sicherstellen, dass Studierende keine Studienzeitverlängerungen durch die Pandemie oder daraus resultierende Nachteile hinnehmen müssen.

Bei Prüfungen in Präsenz sind Corona-Infektionen beim aktuellen Infektionsgeschehen aufgrund der ausschließlichen Anwendung der 3G-Regelung (vgl. CoronaVO Studienbetrieb) in Kombination mit einer nicht vorhandenen Maskenpflicht nicht auszuschließen. Wir fordern deshalb die Landesregierung auf, Möglichkeiten zu schaffen, Studierenden, die es für sich persönlich als nicht vertretbar erachten eine Präsenzprüfung abzulegen (z.B., weil sie um ihre eigene Gesundheit oder die ihrer Angehörigen besorgt sind), über die Möglichkeit von Härtefallanträgen hinaus, zu ermöglichen, Prüfungsleistungen dennoch alternativ zu erbringen. Wir halten es für falsch, solche Personen implizit dazu zu zwingen, entweder, trotz Angst und gegen ihr Gewissen, Prüfungen in Präsenz abzulegen oder sie implizit dazu zu drängen, Prüfungen zu verschieben, was eine Studienzeitverlängerung von oftmals einem ganzen Jahr nach sich zieht. Dies ist unzumutbar und verhindert ein Vorankommen im Studium.

Darüber hinaus profitieren auch weitere Studierende von einer solchen Regelung, wenn sie körperlich dazu in der Lage sind eine Prüfung abzulegen, aber aus Gründen des Infektionsschutzes nicht an Präsenzprüfungen teilnehmen dürfen oder können. Diese Studierenden würden dann nicht für ihre unverschuldete Nichtteilnahme mit der Verlängerung ihres Studiums „bestraft“ werden, obwohl sie gar nicht körperlich unfähig wären, eine Prüfung abzulegen (was sonst ja der Grund eines Klausurrücktritts ist).

Soziales Leben und psychische Gesundheit

Ein Studium ist neben vielen Freiheiten auch geprägt von Herausforderungen und Frustmomenten. Um diese zu überwinden, benötigen Studierende vor allem ihr soziales Umfeld. Die Corona-Maßnahmen haben die Studierenden dabei bisher auch in besonderer Härte getroffen – sei es der Lockdown im Winter 2020/2021, der in einem beengten WG-Zimmer etwas völlig anderes war als in einem geräumigen Einfamilienhaus, das Schließen von Freizeiteinrichtungen oder die Absage von Veranstaltungen. Besonders auch die sozialen Events am Campus haben stark gelitten. Gerade bei Studierenden, die ihr Studium in den von Corona geprägten Semestern aufnahmen, spüren wir die verheerenden Folgen in den Rückmeldungen zur psychosozialen Lage. Viele sind verunsichert und vereinsamt oder resignieren und erwägen den Abbruch des Studiums.

Es ist nun essenziell, hier schnell und auf allen Ebenen entgegenzuwirken. Zum einen muss der bereits angegangene Ausbau der psychosozialen Beratungsstellen schnell voranschreiten, zum anderen müssen aber auch die Ursachen dringlichst angegangen werden. Der Infektionsschutz ist dabei grundlegend wichtig, doch genauso ist es die psychische Gesundheit. Dort, wo sich diese Aspekte entgegenstehen, müssen Abwägungen vorgenommen werden. Hierbei muss auch die äußerst hohe Impfquote von deutlich über 90 % unter den Studierenden Berücksichtigung finden.

Übungen, Seminare und Tutorien sollten, wenn die pandemische Lage es zulässt, weiterhin in Präsenz möglich bleiben. Eine vollständige Schließung von Hochschulen darf nur als letztes Mittel zur Pandemiebekämpfung in Betracht kommen. Zur Prüfungsvorbereitung müssen Lerngruppen wieder ermöglicht werden. Kleinere Gruppen sollen sich (unter Einhaltung von 2G/2G+-Regelungen) auch ohne Abstände und Maskenpflicht zum Lernen in Räumen der Hochschule treffen können.

Weiterhin müssen die Veranstaltungen, die dem Austausch und der Vernetzung der Studierenden dienen, wie sie auch von den Studierendenschaften organisiert werden, klare Berücksichtigung in den Verordnungen finden. Veranstaltungen kleiner bis mittlerer Größe müssen je nach Infektionsgeschehen dringend wieder ermöglicht werden. Insgesamt sollten sich die hier zu treffenden Regelungen/Angebote an den an anderen Stellen getroffenen Regelungen orientieren. Solche Veranstaltungen zu ermöglichen ist ein Mindestmaß. Ein angemessenes Maß an Austausch, Vernetzung und auch sozialem Ausgleich sind grundlegend für die psychische Gesundheit und letztendlich auch den Studienerfolg.

Corona-Verordnungen und Rechtliches

Die nach wie vor sehr kurzfristig beschlossenen und in aller Regel bereits am darauffolgenden Tag in Kraft tretenden Verordnungen zum Studienbetrieb während der Corona-Pandemie sind ein Armutszeugnis der Landesregierung. Nach fast zwei Jahren Pandemiebetrieb nicht adäquat auf doch recht gut vorhersehbare Entwicklungen zu reagieren, mit ausreichendem zeitlichen Vorlauf Maßnahmen zu entwickeln und diese zu kommunizieren ist nicht mehr zumutbar.

Wir fordern, dass die Landesregierung endlich Prozesse schafft, die ein vorausschauendes Erstellen, Beschließen und Verkünden von Verordnungen ermöglichen. In den Entstehungsprozess der Verordnungen müssen die Studierendenvertretungen intensiver eingebunden werden, um die Interessen der größten Gruppe an den Hochschulen angemessen abzubilden. Zudem benötigen Studierendenschaften vom MWK bereitgestellte Beratungsmöglichkeiten, um die CoronaVO Studienbetrieb rechtssicher auch in ihren eigenen Strukturen auslegen und anwenden zu können. Es bedarf bezüglich der Verordnungen eines einheitlichen Rechtsrahmens für alle Studierendenschaften.

Im Rahmen ihrer Verordnungsermächtigung muss das Wissenschaftsministerium aufgrund der erneut eingeschränkten Studierbarkeit die individuelle Regelstudienzeit um ein weiteres Semester verlängern, so wie dies bereits in einigen Bundesländern geschehen ist, und die individuelle Deckelung der Verlängerung der Fristen zur Erbringung von fachsemestergebundenen Studien- und Prüfungsleistungen auf drei Semester aufheben und pauschal verlängern.

Weiterhin möchten wir dringend unterstreichen, dass sich auf Bundesebene (ggf. sogar über das Initiativrecht des Bundesrates) dafür eingesetzt werden soll, dass nicht nur der BAföG-Anspruchszeitraum verlängert wird, sondern entsprechend auch der Anspruchszeitraum von Kindergeld und – noch viel wichtiger – die daran oftmals gekoppelte Familien- und Beihilfeversicherungsberechtigungen; insbesondere letztere beiden (sogar unabhängig von Kindergeld) könnten bei Überschreiten der Altersgrenzen immense Mehrkosten für betroffene Studierende und deren Familien bedeuten, was im Kontext von sozialer Absicherung absolut inakzeptabel ist. Vor allen Dingen vor dem Hintergrund, dass sowohl Land als auch Bund offenbar anerkennen, dass die Pandemie Studienzeiten signifikant verlängert (und deshalb Fristen, BAföG etc. verlängert), wäre ein Auslassen der Anpassung in diesen Bereichen enorm unlogisch und es wäre nicht vertretbar diese Gruppierungen von Studierenden zu vernachlässigen und zu vergessen.

Wir bitten die Landesregierung, sich der zuvor genannten Anliegen anzunehmen und unsere Forderungen umzusetzen. Die Studierenden tragen ihrerseits weiterhin einen Teil zur Bewältigung der Krise bei, bestehen dabei jedoch auf ihren Anspruch auf ein studierbares Studium an den Hochschulen in Baden-Württemberg.