Beschlossen von der Landes-ASten-Konferenz am 06.06.2021
Einleitung
Das Ende der Corona-Krise scheint mit Blick auf den Impffortschritt zumindest den Menschen in Deutschland in Sichtweite zu sein. Doch trotz allem haben wir Studierende das Gefühl, wir wurden und werden immer noch vergessen – gerade wir, die wir uns aktuell darauf vorbereiten sollen, die Konsequenzen dieses globalen Ereignisses in den kommenden Jahren und Jahrzehnten zu tragen. Während Wirtschaft und Forschung adäquate Unterstützung erhielten, hatten wir Studierende vor allem mit den Einschränkungen und der Vernachlässigung durch die Landesregierung aber auch die Bundespolitik zu kämpfen. Wir, die die massiven Wandlungsprozesse in Gesellschaft, Umwelt, Digitalisierung, Gesundheitswesen und Bildung als Teil der Gesellschaft aktiv mitgestalten sollen, wurden in den vergangenen 14 Monaten quasi vollständig allein- und zurückgelassen.
Daher hat die Landesstudierendenvertretung Baden-Württemberg Forderungen aufgestellt, die in diesem Eckpunktepapier dargelegt sind.
Psychische Belastung bekämpfen
Die Pandemie als auch die daraus folgenden Einschränkungen sind für viele Studierende eine psychische Ausnahmesituation. Dies können viele Studierendenschaften, welche entsprechende Hilfs- und Beratungsangebote haben, bestätigen. Auch die Leiterin der Psychotherapeutischen Beratungsstelle für Studierende (PBS) des Studierendenwerks Karlsruhe, Sabine Köster, kommt in ihrer Stellungnahme am 28. Mai 2021 zu diesem Schluss. Der hohe psychosoziale Druck, aber auch die hohen finanziellen Kosten einer Behandlung psychischer Probleme, sorgen für die Verstärkung dieser Belastung.
Studierende haben keine Festanstellungen mit regelmäßigem Einkommen. Studierende arbeiten nicht in krisensicheren Jobs. Studieren geht nicht rein online. Das (wenn auch meist zaghaft) beschlossene Trostpflaster Fristverlängerungen war eine sinnvolle und notwendige Grundlage, aber eben auch nicht mehr. Für die Lebensrealität vieler Studierenden nutzt das nichts. Verbindliche Zusagen zur Verlängerung von Regelstudienzeiten und damit dem Anspruch auf Förderung gemäß BAföG kamen und kommen weit nach Semesterbeginn. Und selbst das hilft nur bedingt. Eine Lebensplanung besteht nicht nur aus Fristen und Regelstudienzeiten. BAföG-Förderung erhalten ohnehin mittlerweile nur noch die wenigsten. Die meisten Studierenden sind zur Finanzierung auf andere Quellen angewiesen, die sich nicht einfach mal so verlängern, nur weil gerade Pandemie ist. Im Gegenteil. Typische Minijobs sind weggefallen.
Wir fordern:
- schnellstmöglicher Ausbau der psychosozialen Unterstützungsangebote
- eine verlässliche Studienfinanzierung
- rechtzeitige Fristverlängerungen
- eine schnelle und überlegte Rückkehr zur Präsenzhochschule
Impfungen für alle Studierenden ermöglichen
Um die Pandemie zu bekämpfen und eine schnellstmögliche, sichere Öffnung der Präsenzlehre zu gewährleisten, sind Impfangebote an Studierende alternativlos. Dabei lehnt die Landesstudierendenvertretung die Forderung des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung, Impfzentren auslaufen zu lassen, ab und schließt sich der Forderung der Hochschulrektor*innenkonferenz an, wonach allen Studierenden bis zum Beginn des Wintersemesters die Möglichkeit eingeräumt werden soll einen vollständigen Impfschutz zu erhalten. Impfzentren sind vor allem für zugezogene und internationale Studierende die erste Anlaufstelle für Impfungen. Dies muss beibehalten werden.
Wir fordern:
- garantierte zeitnahe Impfangebote für alle Studierende vor dem Beginn des Wintersemesters, welche einen vollständigen Impfschutz gewährleisten
- Offenhaltung der Impfzentren für Studierende und andere besonders betroffene Gruppen
- Einbindung der Hochschulen in die Impfstrategie für Studierende
- Berücksichtigung kommender Erstsemester-Studierende in der Impfstrategie im Rahmen der organisatorischen Möglichkeiten
Sozialen Austausch ermöglichen
Eine Präsenzhochschule ist dabei mehr als nur Lehrveranstaltungen vor Ort. Der Hochschule als Erfahrungs- und Lebensraum für Studierende muss ein hoher Stellenwert zugesprochen werden. Die Beteiligung an psychosozial förderlichen Alltags- und Vernetzungssituationen kann kaum bis gar nicht digital ersetzt werden. Die für die zukünftige Rolle der Studierenden in der Gesellschaft notwendige interdisziplinäre Erfahrung kann nur durch die Mitgestaltung und Verwirklichung eines realen Campus entstehen. Kompromissfindung, Partizipation und Selbstbemächtigung wird durch studentische Aktionen und Organisationen vermittelt und fördert die persönliche Entwicklung der Studierenden. Daher sollte eine belebter Campus als ein wichtiger entwicklungsfördernder Faktor anerkannt werden und durch der Situation angepasste Strategien ermöglicht werden.
Wir fordern:
- Öffnung von Mensen, Bibliotheken und Lernräumen entsprechend den gegebenen Umstände
- Förderung von Lern- und Arbeitsgruppen
- Förderung von Sport-, Kultur-, Freizeit- und Orientierungsangeboten sobald möglich
- Corona-Test-Angebote an allen Hochschulen
Übergang gestalten
Das Wintersemester 2021/2022 wird ein Übergangssemester auf dem Weg zur Präsenzhochschule. Die Präsenzlehre und die persönliche Begegnung muss dabei das grundlegende Kernstück der Hochschullehre bleiben. Auch wenn der Ausblick auf die kommenden Monate trotz optimistisch stimmender Impfprognosen noch von Unsicherheiten getrübt wird, ist es essenziell, dass mit den jetzt stattfindenden Planungen für das kommende Semester dieser Weg bereitet wird. Planbarkeit ist dabei auch für uns ein wichtiger Faktor. Damit Studierende, insbesondere auch internationale Studierende, rechtzeitig die Niederlassung an ihrem Studienort planen können müssen möglichst zeitnah die Unsicherheiten bezüglich des Stattfindens eines Präsenzsemesters im Winter ausgeräumt werden.
Wir fordern:
- Evaluation und Anpassung der Workloads der Lehrveranstaltungen
- Anpassung der Qualitätsmanagement-Prozesse an die neuen Lehrformate
- keine reinen Digitalveranstaltungen im kommenden Wintersemester
- feste Planung eines Wintersemesters im Präsenz- und Hybridformat
Perspektive
Die Hochschulen haben nicht zuletzt durch den beispiellosen Einsatz vieler Einzelner aus allen Bereichen in der Krisenzeit Bemerkenswertes geleistet. Genauso wenig wie ein weiteres reines Online-Semester hinnehmbar ist, ist aber auch eine stumpfe Rückkehr in den Status Quo des Lehrbetriebs vor der Pandemie kein akzeptables Ziel!
Die Digitalisierung bietet dabei Möglichkeiten, die über das reine Abbilden bisheriger Lehrformate weit hinaus gehen. Durch sinnvollen Einsatz verschiedener Tools kann reine Wissensvermittlung im Digitalen stattfinden und der wissenschaftliche Austausch wieder mehr in den Vordergrund einer hochschulischen Ausbildung treten. Tatsächliches studierendenzentriertes Lehren und Lernen wird ermöglicht. Auch für Chancengleichheit und Barrierefreiheit ergeben sich völlig neue Potenziale. Durch das Angebot verschiedener Lern- und Prüfungsformen können Hürden abgebaut und die Lehre verschiedenen Lerntypen gerecht werden. Durch das asynchrone Angebot von Aufzeichnungen und Lehrvideos wird Flexibilität gerade für Studierende geschaffen, die durch Familienpflichten, den Erwerb des Lebensunterhaltes oder einer besonderen Lebenslage auf diese angewiesen sind. Wir haben in den Online-Semestern auch gesehen, dass man uns Studierenden einiges an Eigenverantwortung zutrauen kann. Die Corona-Krise hat uns dabei alle getroffen. Individuelle Krisen, die für die Betroffenen ein vergleichbares Ausmaß annehmen, treten jedoch auch sonst tagtäglich ein. Deshalb müssen wir Freiräume und Flexibilität in den Ordnungen beibehalten und ergänzen!
Die Bildungslandschaft unterzieht sich jetzt einem gewaltigen Wandel. Wir müssen die Ergebnisse der Online-Semester nutzen, um einen Präsenzbetrieb durch geeignete digitale Methoden und Tools aufzuwerten. Dabei kann die Digitalisierung allerdings kein Mittel zur kurzfristigen Effizienzsteigerung sein. Im Gegenteil, eine zu Ende gedachte Digitalisierung bedarf Investition, nicht nur in Infrastruktur, sondern auch in deren Weiterentwicklung und in die Kompetenzen aller Beteiligten. Auch eine optimierte digitale Lehre kann den Austausch in Präsenz nie ersetzen, sondern nur ergänzen. Deshalb ist es unerlässlich, dass die Digitalisierung nicht auf Kosten der anderen Entwicklungsbereiche der Hochschullehre entwickelt und finanziert wird.
Wir fordern:
- Grundfinanzierung der Weiterentwicklung digitaler Tools
- grundfinanzierte Dauerstellen im lehrunterstützenden Bereich und in der Didaktik
- digitale Kompetenzen als Teil der Lehrqualifikation aber auch des Curriculums
- Erhaltung und Weiterentwicklung der Präsenzlehre
- studierendenzentriertes Lehren und Lernen in Präsenz, unterstützt durch Digitalisierung
- Beratungs- und Unterstützungsangebote statt „Rausprüfen“ durch Drittversuche