Positionierung: Landesweites Semesterticket

Beschlossen von der Landes-ASten-Konferenz am 04.09.2022

Ausgangssituation

Ende November 2021 beschloss die Baden-Württembergische Landesregierung ein verkehrsverbundübergreifendes und somit in ganz Baden-Württemberg geltendes Jugendticket zum Preis von 365€ pro Jahr einzuführen. Dieses sollte ursprünglich ab dem 01.09.2022 erhältlich sein. Der Start wurde jedoch auf den 01.03.2023 verschoben. Bezugsberechtigt sind alle unter 21-jährigen, sowie Schüler:innen, Auszubildende, Freiwilligendienstleistende und Studierende bis zu ihrem 27. Geburtstag.

Die Landesstudierendenvertretung, welche sich mit dem Arbeitskreis Landesweites Semesterticket schon seit 2010 für günstigen landesweiten ÖPNV einsetzt, begrüßt die Einführung des Jugendtickets als eine erste Umsetzung eines solchen Angebotes. Die Notwendigkeit hierfür wird für uns aus einer Umfrage deutlich, in der 41% aller Studierenden in Baden-Württemberg angaben, verbundsübergreifend zu pendeln¹. Die aktuell geplante Umsetzung halten wir jedoch aus folgenden Gründen nicht für ausreichend:

1. Altersdiskriminierung

Nach Daten des statistischen Landesamtes Baden-Württemberg sind 22% aller Studierenden in Baden-Württemberg über 27 Jahre alt². Da in der Altersverteilung bei der Anzahl von 27-jährigen außerdem im Vergleich zu vorherigen Altersstufen kein deutlich höherer Wertesprung vorhanden ist, scheint die Altersgrenze aus der Luft gegriffen. Circa 80.000 Studierende können nicht vom Jugendticket profitieren.

Teil dieser 80.000 sind unter anderem Studierende, welche aufgrund von finanziellen oder familiären Notlagen Nebenjobs annehmen mussten und daraufhin länger studieren. Potenziell wird die Entlastung also einer Personengruppe, welche diese mit am dringendsten bräuchte, nicht gewährleistet.

In einer Lebensphase, in der das finanzielle Budget ohnehin schon sehr angespannt ist, haben die erhöhten Lebenshaltungskosten durch die Corona-Pandemie und als Folge des Ukraine-Krieges die finanzielle Lage aller Studierenden nochmals verschärft.

Abbildung 1: Studierende an baden-württembergischen Hochschulen im Wintersemester 21/22 nach Alter; Quelle: Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, Stuttgart 2022

Bei einer Anhebung der Altersgrenze sieht das Land Baden-Württemberg die Gefahr, dass Leistungen durch sogenannte Ticketstudierende erschlichen werden könnten. Diese Sorge können wir jedoch nicht teilen, da es hierfür schon entsprechende Schutzmechanismen wie zum Beispiel die Exmatrikulation nach Nichteinhalten von (Prüfungs-)fristen gibt und die Chancen, welche sich durch die Anhebung der Altersgrenze ergeben würden, immens erscheinen. Gerade Studierende, die vor ihrer Studienzeit noch ein freiwilliges Jahr gemacht haben, erst nach zweitem Bildungsweg studieren oder sich während dem Studium ehrenamtlich engagieren schaffen ihren Abschluss häufig nicht in Regelstudienzeit und fallen so aus der Berechtigung für das Ticket heraus.

Das Anheben der Altersgrenze könnte außerdem, neben der erheblichen finanziellen Entlastung für Studierende über 27 durch preisattraktive Mobilitätsangebote junge Menschen längerfristig an den ÖPNV binden und so helfen, sowohl heute als auch in Zukunft, Emissionen im Mobilitätssektor einzusparen und die Verkehrswende voranzutreiben.

2. Eventuelle Preiserhöhungen der bestehenden Semestertickets

Aktuell werden die Tarife für die bestehenden Semestertickets der einzelnen Verkehrsverbünde durch regelmäßige Verhandlungen von Semesterticketverträgen festgelegt. In einigen Verkehrsverbünden steht die nächste Verhandlungsrunde unmittelbar bevor. Die Grundlage die aktuellen Tarife wie gehabt weiterzuführen, scheint für einzelne Verkehrsverbünde mit Einführung des Jugendtickets nicht mehr vorhanden zu sein. Einzelnen Studierendenschaften in Baden-Württemberg wurde schon das Angebot unterbreitet, die aktuellen Verträge aufzulösen.

Falls die Altersgrenze beibehalten wird, sehen wir die Landesregierung in der Pflicht zu gewährleisten, dass aktuelle Tarife beibehalten werden, da ältere Studierende sonst nicht nur durch Nichtbeachtung im neuen Jugendticket benachteiligt werden, sondern gar keine Chance mehr hätten, preisgünstig in ihrem Verkehrsverbund unterwegs zu sein. Dies könnte für einige in dieser Altersgruppe eine existenzgefährdende finanzielle Notlage hervorrufen, welche mit einem Abbruch des Studiums quittiert werden müsste.

Auch Personen, die in Verkehrsverbünden leben, welcher Landesgrenzen überschreitet, müssten sich teuer zusätzliche Tickets für die anderen Bundesländer kaufen.

Durch Preiserhöhungen oder der Abschaffung von bestehenden Semestertickets, würde die Attraktivität des Studierendenstandortes Baden-Württemberg für Studierende weiter gesenkt.

Nachfolgelösungen 9€ Ticket

Das 9 € Ticket hat in den letzten Monaten eindeutig gezeigt, dass der Wunsch nach günstiger Mobilität durch den ÖPNV in der breiten Masse der Bevölkerung existiert. Damit geht auch der Wunsch nach Nachfolgelösungen einher. Dieser ist nicht nur in einigen Umfragen, sondern auch durch diverse Bürgerbegehren deutlich sichtbar. Jetzt wäre also in einem Land, welches eine grüne Energiewende anstrebt, der Beste Zeitpunkt langfristig günstigen ÖPNV zu gewährleisten!

Abbildung 2: Würden sie grundsätzlich eine Nachfolgelösung für das 9-Euro-Ticket befürworten oder ablehnen?; Quelle: YouGov, 19. Juli 2022

Wir sind überzeugt davon, dass die angestrebte Energiewende mit attraktivitätssteigernden Maßnahmen für den ÖPNV angetrieben werden muss und nur so das Ziel der Landesregierung, die ÖPNV Nutzer:innen bis 2030 zu verdoppeln, erreicht werden kann. Jetzt müssen die ersten Schritte dafür gegangen werden.

¹ https://stuve.uni-ulm.de/fileadmin/stuve/landesweites-semesterticket/Umfrageergebnis_Landesstudierendenticket.pdf
² Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, Stuttgart 2022